Kapitel 6
21. Februar 2023
Wir sind fast 16 Wochen schwanger. Ich kann spüren, wie sich das Baby bewegt. Ganz insgeheim hoffen wir, dass sie in Münster keine Flüssigkeit mehr sehen und dass sich das Baby gut entwickelt. Mein Bauchgefühl sagt etwas anderes als meine Hoffnung. Nach einer guten Woche des Wartens haben wir heute endlich den Termin in der Pränatalklinik.
Die Ultraschalluntersuchung.
Um 08.30 Uhr melden wir uns in der Prenatalklinik. Zuerst muss ich viele deutsche Formulare ausfüllen und es wird uns erklärt, wie eine Fruchtwasseruntersuchung funktioniert. Dann kommt die Gynäkologin und holt uns ab. Sie erklärt uns, dass sie zuerst einen Ultraschall machen will, um zu sehen, wie sich das Baby in der letzten Woche entwickelt hat. Sie fügt hinzu, dass wir damit rechnen müssen, dass das Baby vielleicht schon nicht mehr lebt. Aber das Herz schlägt und das Baby bewegt sich. Es ist wunderbar, unser Baby auf dem Ultraschall zu sehen.
Die Gynäkologin bleibt still. Sie bleibt zu lange still. Nach 10 Minuten entschuldigt sie sich für das Schweigen. Dann schweigt sie noch länger. Es tut mir leid, dass ich Ihnen nicht sage, was ich sehe. Tatsächlich ist mir auch nicht ganz klar, was ich sehe. Aber was ich sehe, ist nicht gut“. Sie geht, um den Oberarzt zu rufen.
Nach 10 Minuten entschuldigt sie sich für das Schweigen.
Obwohl es wunderbar ist, unser Baby auf dem Bildschirm zu sehen, sehen wir auch, dass es nicht gut ist. Das Baby liegt in einer geschützten Ecke des Mutterleibs. Wir sehen viele große schwarze Flecken. Von früheren Ultraschalluntersuchungen wissen wir, dass es sich dabei um Flüssigkeit handelt. Aber wir sehen auch einen Kopf, einen Torso, Arme und Beine. Eigentlich sehe ich hauptsächlich nur unser Baby. Ein menschliches Wesen. Unser süßer, schöner, tapferer Mensch.
Der Ratschlag.
Als der Oberarzt zu uns kommt, wird die Liste der Auffälligkeiten nur noch länger. An mehreren Stellen ist viel Flüssigkeit, die Organe sind unzureichend entwickelt, das Gesichtsprofil ist unklar, es gibt zu wenig Fruchtwasser und die Plazenta ist viel zu groß. Ihr Baby ist sehr, sehr erkrankt. Wir raten Ihnen, sich für eine Abtreibung zu entscheiden. Da die Plazenta viel zu groß ist, besteht für die Mutter das Risiko von Komplikationen. Wir raten daher, mit dem Abbruch der Schwangerschaft nicht zu lange zu warten.“ Ich finde es gut, dass der Gynäkologe ‚Ihr Baby‘ und ‚Mutter‘ sagt. Das ist das einzig Schöne an der ganzen Meldung. Das große Wort ist gesprochen. Wir müssen die Schwangerschaft abbrechen. Wir müssen uns entscheiden, das Leben zu beenden, das Leben unseres Babys. Abortus.
Es gibt zwei verschiedene Möglichkeiten für einen Schwangerschaftsabbruch. Wir können uns dafür entscheiden, die Wehen einzuleiten, während das Baby noch lebt. Das Baby wird dann während oder kurz nach der Geburt sterben. Wir können uns auch dafür entscheiden, dem Baby ein Schlafmittel zu geben. Dann stirbt das Baby im Mutterleib, und erst dann beginnen wir mit der Einleitung der Wehen. Wie auch immer wir uns entscheiden, unser Baby wird keine Schmerzen empfinden. Das ist noch nicht entwickelt. Wir entscheiden uns für das Schlafmittel. Ich möchte, dass unser Baby an einem schönen, sicheren Ort stirbt. Dieser sichere Ort ist meiner Meinung nach die Gebärmutter.
Eine Woche Wartezeit.
Unser Baby ist noch am Leben. Wenn wir uns entscheiden, dieses Leben zu beenden, ist es eine Abtreibung. Abortus. Auch in unserem Fall. Wir sind also auch an die Regeln gebunden, die für einen Schwangerschaftsabbruch gelten. In Deutschland bedeutet das eine Bedenkzeit von 5 Arbeitstagen und das Ausfüllen einer Menge Papierkram. Wir füllen den Papierkram aus und warten 7 Tage. In der Zwischenzeit weinen wir, denn nun ist auch der letzte Rest an Hoffnung weg.
Ich hoffe so sehr, dass unser Baby unsere Liebe spürt.
Unser Baby kann noch keinen Schmerz empfinden, aber es ist nicht erwiesen, dass es dann auch keine Liebe empfinden kann. Ich hoffe so sehr, dass unser Baby unsere Liebe spürt. Denn diese Liebe ist da! Auch im Übermaß. Eine weitere Woche des Wartens. Eine weitere Woche, in der wir das Leben spüren. Eine weitere Woche, in der wir Liebe geben.
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